![]() „Die Puppenspieler wollten mich ja nie ...“Zum 50-jährigen Bühnenjubiläum von Maria Mägdefrau / Mägdefrauentheater Berlin
Zu Besuch bei Maria Mägdefrau in der Hildegardstrasse, Berlin-Wilmersdorf. Das Zimmer wird dominiert von einem glänzenden schwarzen Flügel. Erlesene Möbel vergangener Zeiten. Gradlinige Regale mit Büchern, Schubern, Ordnern, exakt beschriftet. Ein Häuschen aus Pappe und Filz erweckt Aufmerksamkeit, es könnte dass Hexenhaus der Babajaga aus „Die verzauberten Brüder“ sein. Maria Mägdefrau sitzt mir gegenüber auf einer elegant schmalen Chaiselongue, hat in einer Schale gewürfelte exotische Früchte und auf meinen Wunsch hin Wasser serviert. Dieses in einer Karaffe mit Edelsteinen auf dem Grund. Sie sagt entwaffnend lächelnd: „Ich habe ja so was wie ein Interview noch nie gegeben. Frag mich was.“ Ich will mir lieber erzählen lassen wie alles angefangen hat. Wie und warum wird eine Schauspielerin Puppenspielerin? „Wie ich dazu gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich mich schon lange dafür interessiert habe, schon als ich im ersten Engagement als Schauspielerin in Stendal war. Da bin ich zu Carl Schröder gegangen, der war damals Leiter des Puppentheaters Berlin und hab’ dem gesagt, ich möchte gerne zum Puppenspiel, die Puppen, die ziehen mich an. Er hat mich gefragt, was mich anzieht? Es ist das, was für mich auch heute noch wichtig ist, die Verbindung zur bildenden Kunst, die Gelegenheit Puppen zu bauen. Und die Kleinheit der Gemeinschaft der Puppenspieler. Schröder hat mir dringend abgeraten, hat gesagt ich solle Schauspielerin bleiben. Es hätte sich alles geändert, die Puppenspieler bauen keine Puppen mehr, das machen spezielle Werkstätten und die Ensembles sind jetzt groß.“ Maria Mägdefrau bleibt Schauspielerin, ist an den Theatern in Stendal, Meiningen und Plauen engagiert. Spielt große Rollen: Eliza/„Pygmalion“, Gretchen/„Faust“, Gertrud/„Hamlet“ und die Titelrolle in Lorcas „Die wundersame Schustersfrau“. Sie verliert das Puppentheater nicht aus den Augen, schaut bei jeder Gelegenheit Inszenierungen an, sucht Kontakt zu Puppenspielern. Doch auch am staatlichen Puppentheater Dresden rät man ihr davon ab, als Schauspielerin Puppenspielerin zu werden. Ein Fernstudium der Theaterwissenschaft mit Abschluss Staatsexamen ist Grundlage für erste Regiearbeiten mit dem Schauspielensemble des Theaters Plauen. Zur damaligen Zeit waren regieführende Frauen an DDR-Theatern eine Seltenheit. Allenfalls Märchenstücke wurden ihnen zugetraut. Maria inszeniert: Rotkäppchen, Die verzauberten Brüder, Die Schneekönigin. Sie bewirbt sich um eine Assistentenstelle an der Schauspielschule Berlin, Abteilung Puppenspiel, bei Professor Hartmut Lorenz, bekommt wieder eine Absage. Später ein weiterer Versuch: „Ich bin dann wieder zu den Puppenspielern gegangen, habe bei Hans-Dieter Stäcker, dem Leiter vom Puppentheater Zwickau, angefragt. Ich hatte nun ja schon einiges vorzuweisen, allerdings nicht im Bereich des Puppenspiels. Aber ich kam wieder überhaut nicht in Frage.“ Dann, 1979 in Plauen, beginnt Maria Mägdefrau erste Figuren zu bauen. Es entsteht die Inszenierung „Der kleine Prinz“. 1985 übersiedelt Maria nach West-Berlin, arbeitet als freischaffende Schauspielerin in Fernsehfilmen und -serien, gastiert am Berliner Hebbel-Theater, in Münster. Die wenig kontinuierliche Arbeit füllt sie nicht aus, befriedigt sie nicht. Im Jahr 1992 wird – zunächst mit ihrer Schwester Anna – das „Mägdefrauentheater“ gegründet. „Der Einsiedlerkrebs und die Seerose“ hat Premiere. Die Figuren und Kulissen wurden natürlich selbst hergestellt. So ist es geblieben. Ebenso wird die Musik als wiederkehrendes Stilmittel immer live gespielt: Klavier, Tamburin, Fingerzimbel, Glockenspiel, Pauke usw. Oft machen die Kinder die Geräusche. Sie pusten Wind, schütteln ‚Wasserplitschen’ (eine original Mägdefrauerfindung), sind Dornenhecke oder Summchor. Als literarische Vorlage dienen Märchen, Kinderliteratur oder Theaterstücke. Die Originalfassung ist immer die Grundlage und wird nach Möglichkeit kaum verändert. Farbige Stoffbahnen, Dekorationsteile aus Papier gestalten auf schlichte und klare Weise die Bühne: wogende farbenfrohe Unterwasserpflanzen, leuchtende Wiesenblumen, ein Tüllnetz mit einem Fischschwarm. Wenn es die Geschichte zulässt, ist Schattenspiel ein Stilmittel, das Maria gerne verwendet. Ist der Spielort nicht besonders attraktiv, wird das Bühnenbild in den Zuschauerraum hinein verlängert oder für bessere Sichtverhältnisse der Raum kurzerhand gedreht: dann sitzen die Zuschauer auf der erhöhten Bühne und das Spiel findet unten im Saal statt. Im Unterschied zur Arbeit als ‚nur’ Schauspielerin, die abhängig von Regieanweisungen, Kostüm-, Masken- und Bühnenbildvorgaben, Spielpartnern usw. ist, ist für Maria die Eigenverantwortung der wichtigste Reiz am Figurentheater: eine eigene Vision des ganzes Stückes in allen Einzelheiten auszugestalten und auch die Erfahrungen des Schauspielfachs als stücktragende Protagonistin einzubringen. Therese mit der roten Kullerneese, die obdachlose Tütenmagda, der Flieger Saint-Exupéry, der Dichter Lorca in Frack und Zylinder – hier gestaltet die Puppenspielerin als Schauspielerin die Rahmenhandlung, führt die Zuschauer durch das ganze Stück. Dabei durchbricht sie so manche inzwischen festgeschriebene Regel der offenen Spielweise (Figur angucken, keine Umbauten mit Text, Gesicht bei der Puppenführung „verstecken“). Die zierlichen Figuren sind sehr bewegliche Geschöpfe, denen man erst, wenn überhaupt, auf den zweiten Blick ansieht, dass sie kein ausgeprägtes Gesicht besitzen. Das brauchen sie auch nicht, denn das Mienenspiel Marias spiegelt jede Gefühlsregung wider. Allein in „Die wundersame Schustersfrau“ sind es mehr als 15 Figuren, denen die Alleinspielerin eigene Stimme, Temperament und Charakter verleiht und so über zwei Stunden ihre Zuschauer begeistert. Diese Schustersfrau, die sich in ihrer Liebe und Treue zum Ehemann nicht beirren, unterkriegen oder unsicher machen lässt, die Schmähungen und Verleumdungen die Stirn bietet, hat Maria beschäftigt, seit sie als junge Schauspielerin diese Roller verkörpert hat. „Die Schustersfrau steht für alle Frauen. Sie will lieben, sie will leben und Glück. Wie wir alle.“ Und auch nach 50 Jahren Theater findet Maria Mägdefrau es immer noch wichtig, diese Botschaft mit ihrem Ein-Frau-Figurentheater weiterhin zu vermitteln.
Bisher sind im Mägdefrauentheater 14 Inszenierungen entstanden:
Der Einsiedlerkrebs und die Seerose, Der Froschkönig, Swimmy, Der kleine Prinz, Die verzauberten Brüder, Hähnchen und Hühnchen, Dornröschen, Das Häschen mit den bunten Fell, Die Weihnachtsgans Auguste, Die Schöne und das Borstentier, Das tapfere Lenchen, Der Bäckerengel, Die wundersame Schustersfrau, Däumelinchens erste Reise. Bis auf den „Einsiedlerkrebs“ sind alle Vorstellungen noch im Repertoire und werden im Wechsel gespielt. Eine neue Produktion ist in Vorbereitung. Norbert Schwarz, theater minimal, Puppen, Menschen & Objekte Nr.96/2007
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